Dienstag, 20. März 2007

Einheit 2 - 20.03.07

20.03.07

Vortragender: Dr. Berthold Molden

Thema: Historiographie in Lateinamerika (Guatemala) mit Fokus auf die guatemalische Historikerkommission ("Wahrheitskommission" - Begriff der "Wahrheit" muss kritisch hinterfragt werden.)

Dieser Vortrag befindet sich nicht im erscheindenden Sammelband zur Vorlesung (ca. Mai)
Link zum Programm der Vorlesung: http://www.univie.ac.at/igl.geschichte/kaller-dietrich/

Inhalt:

Hegel: "Asien kann als Anfang der Weltgeschichte, Europa als Ende der Weltgeschichte gesehen werden!"
Lateinamerika war zur damaligen Zeit noch Provinz, die Frage ist: Hat sich in Lateinamerika eine eigene Geschichtsschreibung entwickelt?

Die so genannte "Wahrheitskommission" in Guatemala beschäftigte sich mit der Geschichte des Bürgerkrieges zwischen 1960-1996. Diese Zeit soll aufgeklärt werden, durch den Druck der Zivilbevölkerung (!) kam es erst zu Friedensverhandlungen (diese so genannten "Opfergruppen" gestalteten die Friedensverhandlungen entscheidend mit!)

Das Mandat der Wahrheitskommission umschloss auch die bedeutende Einschränkung, dass keinerlei Namen genannt werden durften! 80% der Opfer des Bürgerkrieges waren Maya (Guatemala ist neben Bolivien der einzige lateinamerikanische Staat mit indigener Bevölkerungsmehrheit!)

Akteure in der Wahrheitskommission:

a) 3 "Wahrheitskommissare"
b) ExpertInnen

Methode der Kommission:

Interviews mit Betroffenen (über 5000). Das Ergebnis nennt man "oral history".

Die Ergebnisse wurden am 25.02.1999 präsentiert, diese waren aber nicht versöhnlich, da die Regierung, das Militär und die Wirtschaft den Bericht NICHT anerkannten (im Gegensatz zu Chile etwa). Weitere Wahrheitskommissionen wurden in Argentinien, El Salvador & Südafrika (sehr bekanntes Beispiel!) eingesetzt. Die Arbeitsweisen der verschiedenen Kommissionen waren immer sehr unterschiedlich, unterschiedlich dadurch auch die Ergebnisse bzw. die Reaktionen darauf (Bsp.: in Argentinien wurde der Bericht der Wahrheitskommission auf Grund seiner Gestaltung und Aufmachung zum Bestseller, während der Bericht Guatemalas insgesamt 12 Bände umfasst).
Ergebnis in Guatemala war u.a., dass 93% der Verbrechen auf Seiten der Regierung/des Militärs standen, nur etwa 3% auf Seiten der kommunistischen Guerilla-Bewegung. Man kann hier also durchaus von "staatlichen Terror" sprechen.

Warum ist der Einsatz einer Wahrheitskommission sinnvoll?
Diese Kommissionen sind eigtl. ein typisch lateinamerikanisches Instrument und werden zumeist nach Ende von Regimen/Diktaturen eingesetzt. Die Gerichte, die eigtl. für eine solche Arbeit zuständig wären sind kurz nach Zusammenbruch eines Systems meist nicht handlungsfähig oder noch zu sehr stark mit den alten Strukturen verwoben. Eingerichtet werden die Kommissionen für ein bis zwei Jahre und sind immer OFFIZIELL, d.h. der Staat stimmt diesen Untersuchungen zu. Dies ist besonders für die Anerkennung der Ergebnisse wichtig (geschah in Guatemala nicht!).

LEISTUNGEN von Wahrheitskommissionen:

a) Unparteilichkeit bzw. Objektivität
b) psychologische Aufgabe speziell für die Opfer
c) materielle Folgen (z.B. justizielle Folgen oder Reformempfehlungen. Auch als Versöhnungsinstrument wichtig! In Chile hat die Aussöhnugn erstaunlich gut funktioniert, die Kommission bestand dort aus 4 Pinochet-Gefolgsleuten sowie 4 Oppositionellen - am Ende unterschrieb jeder den fertigen Bericht - wichtige Symbolik!)

Die ökonomische Situation in Guatemala wurde in den 1940er-Jahren besonders durch einen versuchten Aufholkapitalismus geprägt, dies funtionierte jedoch nicht. Der Großteil des fruchtbaren Landes war in wenigen (nicht-indigenen) Händen, diese befürchteten vor allem die indigene Bevölkerung als solches und ein Aufkommen des Kommunismus!